„Kritische Perspektiven auf Bildungssprache – Potenziale und Impulse für die DaZ-Didaktik“
Tagungstermin: 23. September 2021
Tagungsort: online
Am 23. September 2021 fand die 7. Fachtagung der AG Deutsch als Zweitsprache des Symposions Deutschdidaktik zum Thema „Kritische Perspektiven auf »Bildungssprache« – Potenziale und Impulse für die DaZ-Didaktik“ statt. Aufgrund der zu dieser Zeit geltenden Kontaktbeschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie wurde die Veranstaltung vollständig digital durchgeführt, wodurch knapp 100 Interessierten aus dem In- und Ausland die Teilnahme ermöglicht wurde. Im Zentrum der Fachtagung stand eine interdisziplinär ausgerichtete Weiterführung der DaZ- und deutschdidaktischen Diskussion um Norm, Normativität und Funktionalität von Bildungssprache im Kontext DaZ- und deutschdidaktischer Zielsetzungen und insbesondere mit dem Blick auf Deutsch als Zweitsprache.
Nach der Begrüßung durch die Veranstalterinnen wurde den TeilnehmerInnen im Rahmen eines Open Space die Gelegenheit dazu gegeben, in kleinen Gruppen darüber zu diskutieren, was kritisch an dem Begriff „Bildungssprache“ ist, und ihre Fragen und Statements dazu in Stichpunkten in einem für alle TeilnehmerInnen zugänglichen Padlet zu notieren. Die anschließende Reflexion im Plenum zeigte, dass die verschiedenen Gruppen besonders die Problematik des nicht klar definierten Begriffs „Bildungssprache“ und dessen unscharfe Abgrenzung zu anderen Termini sowie die Verbundenheit des Begriffs mit bestimmten Vorstellungen auf Lehrer- und Schüler:innenseite und der damit einhergehenden Stigmatisierung von Menschen, die aus subjektiver Sicht keine Bildungssprache beherrschen, fokussierten.
In der darauffolgenden Keynote „Bildungssprache als Sprachbarriere? Wortschatzdidaktische Anmerkungen zum Zusammenhang von Wortschatz, Semantik und sozialer Herkunft“ stellte Jörg Kilian (Kiel) ältere und neuere Befunde zum Zusammenhang von Wortschatz, Semantik und sozialer Herkunft vor und reflektierte diese vor dem Hintergrund aktueller Versuche, lexikalische Inventare als bildungssprachliche Wortschätze anzusetzen, aus wortschatzdidaktischer Perspektive kritisch.
Anschließend erhielten die Referent:innen der für die Tagung ausgewählten Beiträge die Möglichkeit dazu, den Teilnehmer:innen in einem kurzen Impulsvortrag ihre Forschungsprojekte sowie erste Ergebnisse vorzustellen. Die vier Beiträge wurden den Teilnehmer:innen in Form von Videos bereits eine Woche vor dem Tagungstermin online (unter Berücksichtigung datenschutzrechtlichen Vorgaben) zum Ansehen zur Verfügung gestellt, um bei der Tagung eine stärkere Konzentration auf die Diskussion der Beiträge zu ermöglichen.
Zuerst nahm Bettina M. Bock (Köln) in ihrem Beitrag „Exklusive Sprachnormen? Sprachideologien um Bildungs- und Standardsprache in Deutsch-Lehrwerken und bildungspolitischen Dokumenten“ die innersprachliche Variation im Deutschunterricht in den Blick und legte den Fokus auf das Exklusionspotenzial bildungs- und standardsprachlicher Normen, insbesondere in inklusiven Lernkontexten. Hierfür analysierte sie Sprachideologien anhand von drei Datentypen: 1. institutioneller Diskurs (insbesondere Bildungsstandards, Bildungspläne), 2. Metapragmatischer Diskurs in Lehrwerken (Sprachreflexionsaufgaben), 3. Sprachliche Normen und Praktiken in Lehrmaterialien für Lernende mit besonderem Förderbedarf in unterschiedlichen Bereichen. Für die DaZ-Didaktik ist die Reflexion inklusiver Lernkontexte im Sinne einer zugespitzten Konstellation informativ: Die Analyse ergab generelle Tendenzen in Bezug auf Sprachideologien und -normen sowie die Normativität sprachlichen Lernens in institutionellen Bildungskontexten.
Zu dem Thema „Sprachliche Bildung und Normativität von Bildungssprache im Kontext von Mehrsprachigkeit und Inklusion“ referierten anschließend Laura Di Venanzio und Kevin Niehaus (Duisburg-Essen). Im Rahmen des Beitrags wurde eine Pilotstudie vorgestellt, die durch den kombinierten Einsatz von offenen qualitativen Items (schulisch-unterrichtliche Vignetten des inklusiven Schulalltags) und quantitativer Item-gestützter Befragung, das Ziel verfolgt, das vorherrschende Verständnis und die Bedeutung von Bildungssprache bei angehenden und bereits ausgebildeten Grundschullehrkräften im Hinblick auf das Konstrukt Bildungssprache allgemein, seine Notwendigkeit für den Unterricht und seine Implikationen für mehrsprachige und inklusive Schülerinnen zu erheben. In dem Beitrag wurden die ersten Ergebnisse der Studie vor- und zur Diskussion gestellt.
Als nächstes stellte Marie Hempel (Dortmund) ihre noch laufende Studie „Den Indikator kritisch im Blick – Ein Eyetracking-Experiment zum Einfluss von Attributen in Schulbuchtexten auf die Verstehensleistung von Jugendlichen“ vor. Im Rahmen von psycholinguistischen Leseexperimenten wird hierbei untersucht, inwiefern sich das Vorkommen bestimmter Attributtypen in Schulbuchtexten auf die Verstehensleistung von Schüler:innen der Sekundarstufe I mit DaZ oder DaM auswirken. Im Zentrum dieser Experimente stehen die beiden Attributtypen Partizipialattribut und Relativsatz, da sie nicht nur inhaltlich ineinander umwandelbar sind, sondern durch ihre jeweilige Stellung zum Bezugsnomen (prä- bzw. post-nominal) auch einen unterschiedlich hohen Verarbeitungsaufwand beim Lesenden verursachen könnten. Die bisherigen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass bei Schüler:innen mit DaZ keine größeren Schwierigkeiten im Hinblick auf das Verständnis von Partizipialattributen auftreten als bei Relativsätzen.
Melanie Heithorst (München) zeigte im Anschluss daran in ihrem Beitrag „Erklären nach Vorschrift? Wie Schüler*innen mit Formulierungshilfen umgehen“ auf, dass die Nutzbarkeit von Wörtern in Formulierungshilfen unter anderem von deren Verwendungshäufigkeit im mündlichen Sprachgebrauch abhängt. Einzelne sprachliche Mittel werden, auch falls Alternativen vorhanden sind, von Lernenden oft wiederholt in derselben Erklärung verwendet. Seltene Wörter scheinen das Verständnis der Erklärung durch andere Schüler:innen sogar negativ zu beeinflussen. Diese Ergebnisse stammen aus einer Analyse von Videoaufnahmen, die im Rahmen des Projektes „Sprache im Fach“ an der LMU München entstanden sind. Anhand dieser wurde der Versuch unternommen zu erklären, welche Formulierungshilfen von Schüler:innen genutzt werden, wie diese in Sprachhandlungen verwendet werden und inwiefern Sprachhandlungen mit Formulierungshilfen Unterschiede zu solchen ohne aufweisen.
Die 7. Fachtagung der SDD-DaZ-AG wurde von einer Keynote von Tanja Tajmel (Montreal) zum Thema „Kritische (Bildungs-)Sprachbewusstheit“ abgerundet, in dem die Diskurse zu „Bildungssprache“ und sprachlicher Bildung aus menschenrechtlicher Perspektive eingeordnet wurden.
Im Anschluss an die Tagung fand (ebenfalls virtuell) die Sitzung der Mitglieder der DaZ-AG statt.